In den letzten Jahren kommt es unter Ärztinnen und Ärzten immer häufiger vor, dass sie ihren Kassensitz im Rahmen einer Nachfolgeregelung an ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) abgeben möchten. Um dabei allerdings weder steuerliche noch vertragsärztliche Nachteile hinnehmen zu müssen, sollten Sie einige wichtige Faktoren beachten. Hier erfahren Sie, wo die Gefahren lauern und welche Vorteile der Verkauf an ein MVZ bieten kann.
Inhaltsverzeichnis
Aktuelle Marktsituation
Kassensitz verkaufen: Zwischen Wirtschaftsinteressen und regulatorischen Grenzen
Zwei Möglichkeiten für eine Übernahme in ein MVZ
KV-Sitz zum MVZ verlegen: Mehrwert und Vorteile
Stolperfallen beim Verkauf an ein MVZ
KV-Sitz ohne Praxis verkaufen
Fazit
Die gegenwärtige Marktsituation zeigt, dass es viele Angebote von zu übergebenden Arztpraxen gibt, aber nur wenige Bewerber auf solche Nachfolgen. Diese Verhältnisse werden sich perspektivisch weiterhin verschärfen, wenn die geburtenstarken Jahrgänge in den Ruhestand treten. Es wird demnach stets schwieriger, qualifizierte Praxisnachfolger zu finden. Auch der bereits gegenwärtig spürbare Mangel an Ärztinnen und Ärzten in den ländlichen Regionen wird sich zuspitzen, was zu einer grundsätzlichen Verschlechterung der ärztlichen Versorgung beiträgt. Dies hat zur Folge, dass es zukünftig immer weniger traditionelle Eins-zu-Eins-Nachfolgeregelungen geben wird, bei denen eine Einzelpraxis von einem Mediziner an einen anderen verkauft wird.
Um dieser Entwicklung zu begegnen, bietet sich zum Beispiel die Möglichkeit, frühzeitig seine Arztpraxis an ein Medizinisches Versorgungszentrum zu verkaufen, auf den Kassensitz zu verzichten und in diesem MVZ als angestellte Ärztin bzw. angestellter Arzt bis zum Ruhestand tätig zu sein. Auf diese Weise profitieren Sie von einigen Vorzügen, die der Zusammenschluss zu einem größeren medizinischen Netzwerk mit sich bringt. Dazu gehören beispielsweise die Möglichkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Fachrichtungen, die Entlastung bei administrativen Tätigkeiten sowie die Nutzung von zahlreichen Ressourcen.
Gemäß dem Sozialgesetzbuch ist es untersagt, den Kassensitz selbst zu verkaufen. Ein direkter Verkauf des Kassensitzes selbst ist nach der sozialrechtlichen Rechtsprechung bzw. der Auslegung zu § 95 SGB V ff. nicht gestattet, da die Zulassung eines Kassensitzes einen öffentlich-rechtlichen Status darstellt (höchstpersönliches unveräußerliches Recht).
Welche Möglichkeiten dennoch für die Übergabe der eigenen Praxis an ein MVZ bestehen und worauf man achten sollte, lesen Sie im Folgenden:
Bei der Praxisübergabe an ein Medizinisches Versorgungszentrum (MVZ) sind zwei Ansätze denkbar. Dazu gehört zum einen das normale Nachbesetzungsverfahren, bei dem das MVZ als Bewerber auftritt. Zum anderen besteht die Möglichkeit, dass die abgebende Ärztin bzw. der abgebende Arzt den Vertragsarztsitz an den Ort des MVZ verlegt und hier auf die Zulassung verzichtet, um sich beim MVZ nach dem Praxisverkauf anstellen zu lassen.
Bei dieser Variante reagiert das MVZ als regulärer Bewerber auf den zum Verkauf ausgeschriebenen Vertragsarztsitz. Im Zuge dieses Nachbesetzungsverfahrens ist es zwingend erforderlich, dass das MVZ einen Arzt benennt, der den Vertragsarztsitz tatsächlich übernimmt.
In vielen Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) wird beim Praxisverkauf der Vertragsarztsitz des Praxisabgebers automatisch in den Sitz des MVZ integriert. Wenn jedoch die ärztliche Tätigkeit an dem Standort fortgeführt werden soll, an dem der Praxisabgeber seinen Vertragsarztsitz hatte, muss das MVZ gemäß § 24 Abs. 3 der Ärzte-Zulassungsverordnung einen Antrag auf Genehmigung einer Zweigpraxis oder Arztpraxis-Filiale stellen.
Ein klarer Nachteil dieser Herangehensweise besteht darin, dass beim Durchlaufen des Nachbesetzungsverfahrens auch weitere Bewerber neben dem MVZ auftauchen können. Sollten diese möglicherweise geeigneter für den Antritt der Nachfolge sein, kann es für den Praxisübergeber schwieriger werden, die eigenen Wünsche durchzusetzen.
Um ein reguläres Nachbesetzungsverfahren zu umgehen, kann die abgebende Ärztin bzw. der abgebende Arzt den Vertragsarztsitz an den Ort des MVZ verlegen und dann gemäß § 103 Abs. 4b Sozialgesetzbuch V auf die Zulassung verzichten, um sich beim MVZ nach dem Praxisverkauf anstellen zu lassen.
Auf diese Weise wird gewährleistet, dass das MVZ den Sitz des Praxisabgebers tatsächlich erhält und andere Wettbewerber nicht für Unruhe sorgen können.
Achtung:
In Fällen, in denen ein MVZ in den Prozess der Praxisübergabe involviert ist, wird der erworbene Sitz immer Teil des Vertragsarztsitzes des MVZ. Für das MVZ ist es nicht möglich, den Vertragsarztsitz des Praxisübergebers an dessen Vertragsarztsitz fortzuführen. Die Zulassungsausschüsse begründen diese Vorgehensweise in der Regel damit, dass sowohl das Medizinische Versorgungszentrum als auch der Vertragsarzt jeweils nur einen hauptberuflichen Vertragsarztsitz haben können.
Wenn ein MVZ den Vertragsarztsitz eines Praxisabgebers an dessen Vertragsarztsitz dennoch fortsetzen möchte, ist dies nur durch die Gründung einer Zweigpraxis oder Praxisfiliale möglich, wofür eine Genehmigung erforderlich ist.
Es ist zu beachten, dass der Zulassungsausschuss die Genehmigung einer Zweigpraxis mit bestimmten Bedingungen versehen kann, wie beispielsweise einer zeitlichen Befristung oder einer Beschränkung der wöchentlichen Arbeitszeit. Diese Problematik besteht jedoch bei beiden Varianten der Nachfolgeregelung.
Überträgt eine Ärztin oder ein Arzt den eigenen Kassensitz an ein MVZ und lässt sich weiterhin von diesem Medizinischen Versorgungszentrum anstellen, bietet dies einige Vorteile. Dazu gehören beispielsweise die Folgenden:
Die Übergabe der eigenen Einzelpraxis bzw. des Kassensitzes an ein MVZ kann für die abgebende Ärztin bzw. den abgebenden Arzt auch Nachteile nach sich ziehen, sofern man sich nicht gründlich genug darauf vorbereitet. Um diese Stolperfallen zu umgehen, sollten Sie auf folgende Aspekte achten:
Es ist möglich, als Vertragsarzt zugunsten eines MVZ auf die eigene vertragsärztliche Zulassung zu verzichten, um in diesem MVZ als angestellte Ärztin oder angestellter Arzt tätig zu sein. Allerdings kann diese Stelle nach Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 4.5.2016 (Az.: B 6 KA 21/15 R) erst nachbesetzt werden, wenn die bzw. der ursprünglich Angestellte die Tätigkeit über einen Zeitraum von drei Jahren dauerhaft ausgeübt hat. Endet die Tätigkeit der Ärztin bzw. des Arztes bereits früher, hängt das Nachbesetzungsverfahren davon ab, ob ursprünglich die Absicht bestand, die Beschäftigung mindestens drei Jahre auszuführen. Wurde von dieser Absicht aufgrund von Umständen Abstand genommen, die zum Zeitpunkt des Verzichts noch unbekannt waren, kann eine Nachbesetzung schon vor Ablauf der Frist von drei Jahren genehmigt werden. Das BSG nennt als mögliche Gründe Krankheit oder zwingende Gegebenheiten in der Berufs- und Lebensplanung.
Achtung:
Sollten Sie also für den Verkauf der eigenen Praxis ein MVZ in Erwägung ziehen, um anschließend in den Ruhestand zu treten, planen Sie diesen Schritt frühzeitig! Dies ist regulär erst möglich, nachdem Sie mindestens drei Jahre einer angestellten Tätigkeit in diesem MVZ nachgegangen sind.
Tipp:
Eine schrittweise Reduzierung des Arbeitsumfangs ab dem zweiten Jahr der Anstellung um jeweils eine 1/4-Stelle hat allerdings keinen nachteiligen Einfluss auf das Nachbesetzungsrecht.
Sollten Sie das 55. Lebensjahr vollendet haben und wollen Ihre Praxis an ein MVZ verkaufen, um dort als Angestellter tätig zu sein, haben Sie die Möglichkeit, von einer steuerlichen Begünstigung zu profitieren. Für den Kaufpreis können Sie ein Mal im Leben den vergünstigten Steuersatz des § 34 Abs. 3 EStG in Anspruch nehmen. Allerdings müssen Sie dazu folgende Bedingungen erfüllen: Sie müssen alle wesentlichen Grundlagen der Praxis veräußern sowie die freiberufliche Tätigkeit als Ärztin bzw. Arzt für „eine gewisse Zeit” im „bisherigen örtlichen Wirkungskreis” aufgeben. Gesetzlich werden beide Parameter nicht definiert, die Rechtsprechung prüft jeden Einzelfall individuell.
Als „gewisse” Zeit können in der Regel drei Jahre ausreichen. Die Beurteilung richtet sich jedoch nach dem Einzelfall. Der Bundesfinanzhof lehnt eine starre Drei-Jahres-Frist als steuerunschädliche zeitliche Grenze ausdrücklich ab.
Was den „örtlichen Wirkungskreis” betrifft, so ist auch dessen Radius nicht gesetzlich definiert; er bestimmt sich aber vor allem durch das Einzugsgebiet der Praxis und ist demnach vom Einzelfall abhängig. So lässt sich beispielsweise auf das Urteil des Finanzgerichts Düsseldorf vom 6.3.1985 (Az.: EFG 85, 449) schauen. In diesem Fall eines Zahnarztes, der nach Praxisveräußerung eine neue Praxis 25 km entfernt gegründet hatte, wurde festgestellt, dass diese Entfernung ausreichend ist. Für weitere Informationen: Steuern beim Praxisverkauf: So profitieren Sie von Freibeträgen und Begünstigungen.
Achtung:
Grundsätzlich bedeutet dies also, dass der Verkäufer einer Praxis den vergünstigten Steuersatz auf den Verkaufserlös nur anwenden darf, sofern alle Voraussetzungen erfüllt sind und bleiben. Ist dies nicht der Fall – beispielsweise auch, wenn der Verkäufer vor Ablauf der Frist einer „gewissen Zeit” eine neue Arztpraxis am alten Ort gründet und selbstständig tätig ist – droht schlimmstenfalls der nachträgliche Wegfall der steuerlichen Begünstigungen. Damit einher geht dann eine Nachforderung des Finanzamts.
Den KV-Sitz ohne die dazugehörige Praxis zu verkaufen, ist normalerweise nicht vorgesehen, da die Zulassung eines Vertragsarztes an die konkrete Praxis gebunden ist. Es gibt jedoch einige indirekte Möglichkeiten, die in bestimmten Situationen angewendet werden können. Nehmen Sie hierzu spezialisierte Berater in Anspruch. Diese können mit Ihnen gemeinsam Ihre individuellen Optionen ausloten und das mögliche Vorgehen klären.
Aufgrund des Überflusses an Praxisangeboten in Relation zu nur wenigen potenziellen Nachfolgern wird sich zukünftig die Situation für verkaufende Ärztinnen und Ärzte wohl weiter zuspitzen. Eine Alternative zur traditionellen Nachfolgeregelung bietet daher die Übergabe an ein Medizinisches Versorgungszentrum. Um hierbei allerdings sowohl vertragsärztliche als auch steuerliche Fallstricke zu umgehen, ist eine detaillierte Vorbereitung ratsam. Es kann außerdem hilfreich sein, auf medizinische Nachfolgen spezialisierte Berater zu involvieren. Auf diese Weise finden Sie das für Ihre Situation passende Angebot und können den gesamten Prozess wohl begleitet und strukturiert durchlaufen.
Philipp Peplowski ist Diplom-Finanzwirt (FH), Master of Laws (LL.M.), Steuerberater und Partner der Kanzlei Laufenberg Michels und Partner mbB.
Als eine der führenden Steuerberatungskanzleien in Deutschland liegt der Beratungsschwerpunkt unter anderem in der steuerlichen Begleitung und Gestaltung von Unternehmensnachfolgen und Unternehmensverkäufen.
In Zusammenarbeit mit seinem Team veröffentlicht Herr Peplowski regelmäßig Fachpublikationen im deutschsprachigen Raum.
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